Letzte Woche ging es um Blut-Selbsttests für Zuhause. Ein Test dieser Kategorie wird gerade überall im Internet, wie auch in Naturheilpraxen und sogar in manchen Arztpraxen (für Selbstzahler!) angeboten: Der IgG-Lebensmittelreaktionstest.
Wer sich für diesen (Selbst-)Test entscheidet, hat meist den Wunsch seine Symptome zu verbessern. Typische Symptome von Anwender:innen sind Blähbauch, Durchfall, Bauchschmerzen, Müdigkeit,…
Oftmals wurde schon alles versucht, um gegen die Symptome anzukämpfen. Doch auch nach glutenfreier, laktosefreier, basischer, roher, oder ballaststoffarmer Kost, sind die Symptome unverändert vorhanden.
Ein kurzer Bluttest in Fingerkuppe oder Vene soll eine Erleichterung schaffen und endlich aufzeigen, welche Lebensmittel es sind, die diese Symptome auslösen. Klingt zu einfach, um wahr zu sein. Ist es auch.
Welche Formen von Nahrungsmittelunverträglichkeiten gibt es eigentlich?
Lebensmittelallergie: Sie beruht auf einer Antigen-Antikörper-Reaktion. Dabei überreagiert das Immunsystem gegen eigentlich
harmlose Lebensmittelbestandteile. Die Symptome dabei können relativ drastisch sein und führen von Schleimhautschwellungen, Übelkeit und Erbrechen bis hin zum anaphylaktischen Schock. Echte Lebensmittelallergien sind mit ca. 3% in der deutschen Bevölkerung eher selten.
Zöliakie: Eine chronische Entzündung des Darms mit einer Überempfindlichkeit gegen Gluten. Die Erkrankung kommt etwa zu 1% in der deutschen Bevölkerung vor. Darüber habe ich hier schon einmal geschrieben.
Lebensmittelintoleranzen: Diese haben keinen allergischen Hintergrund, sondern beruhen z.B. auf einem Mangel an Verdauungsenzymen oder Transporterdefekten. Dazu gehört etwa die Laktoseintoleranz oder die Fructosemalabsorption. Diese Intoleranzen können durch einen Allergietest nicht identifiziert werden.
Bei Lebensmittelreaktionstest analysiert das Labor das sogenannte Immunglobulin G (IgG), einen Antikörper, der auf mehrere hunderte verschiedene Lebensmittel reagiert.
Die Theorie ist, dass man mithilfe dieses Markers herausfinden kann, ob man auf ein Lebensmittel immunologisch reagiert.
In der Realität gibt es für diese Messmethode aber keine ausreichende Evidenz.
Zum einen werden exisitierende Studien stark kritisiert, zum anderen wird angezweifelt, ob IgG überhaupt schlecht ist.
Experten gehen davon aus, dass es sich um eine ganz normale Antwort unseres Immunsystems handelt und es zu allen Lebensmitteln, mit denen wir in Kontakt kommen, IgG-Antikörper produziert.
Das bedeutet: Wenn du laut dem IgG-Test auf ein Lebensmittel reagierst, bedeutet es nicht, dass du es nicht verträgst. Sondern dass du es wahrscheinlich in den letzten paar Stunden gegessen hast.
IgG-Tests erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit, dass Patient:innen zukünftig Lebensmittel willkürlich weglassen, obwohl dies nicht nötig ist. Und könnten somit zu einer restriktiven oder mangelhaften Ernährungsweise führen. Sie führen außerdem dazu, dass evtl. weiterhin Lebensmittel gegessen werden, die nicht vertragen werden, weil diese im Test keine Reaktion zeigten. Oder verhindern sogar die Diagnose von anderen / schweren Erkrankungen.
Die Tests sind somit für eine Diagnose von Lebensmittelunverträglichkeiten bzw. – sensitivitäten nicht geeignet und werden auch von der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), von Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA) und einigen anderen Fachgesellschaften strikt abgelehnt und in deren Leitlinie als nicht sinnvoll festgehalten.
Damit reihen sich Lebensmittelreaktionstests in die lange Liste der Diagnosetests ein, die weder sinnvoll sind, noch funktionieren und nur reine Geldmacherei sind.
Wie können Lebensmittelunverträglichkeiten denn dann diagnostiziert werden?
Lebensmittelallergien können durch IgE-Bluttests von Allergologen, also einem spezialisierten Facharzt erkannt werden.
Für Symptome im Bereich des Magen-Darm-Traktes sollte eine Gastroenterologische Praxis aufgesucht werden. Lassen sich keine organischen Ursachen finden, ist der nächste Schritt eine Ernährungsberatung durchzuführen. Ernährungsfachkräfte können dabei helfen, das Essverhalten zu analysieren und Lebensmittel zu erkennen, die individuell nicht gut vertragen werden. Dabei kommen Ernährungstagebücher und Ausschlussdiäten zum Einsatz. Mein Beratungsangebot findest du hier.
Quellen:
https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/schlankheitsmittel-und-diaeten/immunallergiediaeten-6557
http://dgaki.de/wp-content/uploads/2010/05/Leitlinie_KeineIgG-TestsNahrungsmittel2009.pdf
https://www.daab.de/blog/2020/06/ige-igg-testungen-ein-buchstabe-macht-den-unterschied/
https://www.allergieinformationsdienst.de/krankheitsbilder/nahrungsmittelallergie/verbreitung.html
Biesalski, H.-K. et al. (2018) Ernährungsmedizin. 5. Auflage. Thieme Verlag
Nina Schneider
Ernährungswissenschaftlerin (B.Sc.), Scienefluencerin, freie Wissenschaftsjournalistin und Gründerin von Pflanzlich Gesund - Evidenzbasiertes Ernährungswissen.