Glutamat gilt wohl als einer der missverstandensten Lebensmittelzusatzstoffe überhaupt. Kein anderer Zusatzstoff wird seit den 1960ern durch Verbraucher weltweit so kritisch betrachtet. Was steckt eigentlich hinter der Bezeichnung Glutamat und müssen wir uns wirklich davor fürchten?
Was ist Glutamat?
Es handelt sich um eine Sammelbezeichnung für die Glutaminsäure und ihre Salze (Glutamat). Glutaminsäure ist eine Aminosäure und kommt deswegen, im Protein gebunden, in vielen Lebensmitteln vor. Beste Beispiele hierfür sind Tomaten, Pilze, verschiedene Käsesorten und sogar die menschliche Muttermilch. Freies Glutamat entsteht auch beim Herstellungsprozess von Lebensmitteln (vor allem bei der Fermentation) und wird sogar vom Körper selbst hergestellt. Glutamat ist also nicht körperfremd, wie gerne behauptet wird. Das weiße Pulver ist chemisch identisch mit dem körpereigenen Glutamat.
Entdeckt und isoliert wurde Glutamat vor mehr als 110 Jahren von dem japanischen Chemiker Kikunae Ikeda aus einer Kombualge. Aufgrund des besonderen Geschmacks, der mit keiner anderen Geschmacksrichtung vergleichbar war, erfand Ikeda kurzerhand eine fünfte Geschmacksrichtung: Umami. Diese werden von einem Umami-Geschmacksrezeptor auf der Zunge erkannt.
Der Umami-Geschmack bzw. seine geschmacksverstärkende Wirkung macht Glutamat so besonders. Glutamat sorgt nämlich für einen vollmundigen, herzhaften, fleischigen und würzigen Geschmack. In der Lebensmittelproduktion wird Glutamat deswegen als Geschmacksverstärker verwendet und trägt dann in der Zutatenliste die E-Nummern 620 bis 625.
Häufig wird Mononatriumglutamat bei Fertigprodukten eingesetzt, um den produktionsbedingten Geschmacksverlust auszugleichen. Verbraucher sind nämlich ganz schöne Nörgler: Wenn das Lebensmittel nicht ansprechend schmeckt und eine angenehme Konsistenz hat, wird es nicht gekauft.
Zudem wird Glutamat eingesetzt, um den Zusatz von Salz zu vermeiden und den Geschmack fettreduzierter Speisen zu verbessern.
Glutamat wird häufig Fertigprodukten zugesetzt, vor allem Tütensuppen und Snacks. Bei Lebensmitteln, die generell keine Zusatzstoffe enthalten dürfen (z.B. unbehandelte und traditionelle Lebensmittel), ist der Einsatz von Glutamat untersagt. Mehr zum Thema Zusatzstoffe kannst du hier nachlesen.
Als Zusatzstoff muss Glutamat in der Zutatenliste dann auch gekennzeichnet werden. Meistens so: “Geschmacksverstärker E 621” oder “Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat”.
Was machen nun Hersteller, denen das schlechte Image von Glutamat bekannt ist?
Sie versuchen den Zusatzstoff in der Zutatenliste zu vermeiden. Rechtlich gesehen geht das auch ganz einfach: Hersteller setzen ihrem Produkt statt Glutamat einfach Würze bzw. Hefeextrakt hinzu. Hefeextrakt enthält besonders viel Glutamat, zählt aber nicht zu den Zusatzstoffen und muss dementsprechend auch nicht so gekennzeichnet werden. Es wird also ganz normal (meist am Ende) der Zutatenliste genannt. Und noch dazu kann der Hersteller auf dem Etikett vermerken, dass er keine geschmacksverstärkenden Zutaten nutzt. Für den Verbraucher hört sich das wunderbar an: Keine Zusatzstoffe, keine Geschmacksverstärker! Letztendlich machen Hefeextrakt und Würze aber genau das: Sie verstärken den Geschmack. Chemisch gesehen genauso, wie es isoliertes Glutamat auch tun würde. Clean Labelling nennt sich diese, von Bio-Herstellern bevorzugt genutzte Taktik.
Können wir Glutamat überhaupt vermeiden?
Wie wenig durchdacht der aktive Verzicht auf Glutamat ist, zeigen diese Zahlen: Ein Europäer verzehrt täglich ca. 20 g Glutamat aus Protein, bildet ca. 50 g selbst und nimmt gerade mal bis zu 0,4 g als Geschmacksverstärker auf.
Die regelrechte Angst vor Glutamat begann schon in den 60ern, in denen der Mythos um das “China-Restaurant-Syndrom” entstand. Menschen klagten nach dem Verzehr von stark glutamathaltigem chinesischen Take Out Food über Herzrasen, Hitzewallungen, Taubheitsgefühle, Kribbeln, sowie Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein. Das Syndrom “erfunden” und den Mythos gestartet hatte der angebliche amerikanische Arzt Kwok (Existenz bis heute unklar, man vermutet einen Gag), der die Symptome erstmals als Leserbrief im New England Journal of Medicine veröffentlichte. Er vermutete die Ursache seiner Symptome im Glutamat. Heute geht man davon aus, dass es sich bei dem Leserbrief um Satire handelte.
Zudem zeigen sich hier auch die Auswirkungen des Anti-Chinesischen-Rassismus. Asiatisches Essen wurde generell als unsauber dargestellt, finden doch Fleisch von Hunden und Ratten, sowie Insekten Verwendung in einigen traditionellen Gerichten. Mit dem Mythos um das angebliche China-Restaurant-Syndrom wurde die Sinophobie nur weiter gestreut.
Nun gut, der Leserbrief war Satire und vor allem in rassistischen Annahmen begründet.
Aber ist denn jetzt was dran am krankmachenden Glutamat?
Aufgrund der Brisanz des Themas gehört Glutamat mittlerweile zu den am intensivsten erforschten Zusatzstoffen.
Wie auch bei jedem anderen brisanten Thema in der Ernährungswissenschaft, existieren für Glutamat zahlreiche Fallberichte und Tierstudien, die diese Theorie unterstützen könnten. Betrachtet man jedoch die vorliegenden Reviews zum Thema, zeigt sich keine empirische Evidenz für einen Zusammenhang zwischen den beschriebenen Symptomen und Glutamat.
Auch das Bundesamt für Risikobewertung und die EFSA nahmen Stellung zum kontrovers diskutierten Glutamat.
So bewertete die EFSA Glutamat zuletzt 2017 als – erneut und weiterhin – unbedenklichen Zusatzstoff und legte die täglich sichere Aufnahmemenge (ADI) auf 3 g/kg Körpergewicht fest. Dieser Wert wird bei einer normalen Ernährung weit unterschritten. Zudem impliziert der Wert, dass auch nach Erreichen der Aufnahmemenge keine Symptome zu erwarten sind. Mehr Infos zur Ermittlung des ADI-Werts findest du hier.
Natürlich kann es bei einzelnen Personen im Rahmen einer Unverträglichkeit zu Überempfindlichkeitsreaktionen nach dem Verzehr von Glutamat kommen.
Fazit: Nach aktuellem Kenntnisstand ist Glutamat ein ungefährlicher Lebensmittelzusatzstoff und kann in üblichen Mengen verzehrt werden.
Die Mythen rund um Glutamat stammen aus einzelnen, nicht repräsentativen Studien, sowie aus einer, mehr als 60 Jahre alten, satirischen und rassistischen Bemerkung in einer Wissenschaftszeitschrift. Die Angst und Verunsicherung, die bei Konsumenten herrscht, wird weiter dadurch befeuert, dass Hersteller auf ihren Produkten hervorheben, kein Glutamat zu benutzen.
Wie immer gilt: Im Rahmen einer gesunden Ernährung müssen sich der Verbraucher und die Verbraucherin sowieso keine Sorgen um jeglichen Zusatzstoff machen.
Quellen:
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efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/4910
ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2018/12_18/EU12_2018_S77_S81_neu.pdf
dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/2005/sklm_glutamat_2005_dt.pdf
bfr.bund.de/cm/343/ueberempfindlichkeitsreaktionen_durch_glutamat_in_lebensmitteln.pdf
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Nina Schneider
Ernährungswissenschaftlerin (B.Sc.), Scienefluencerin, freie Wissenschaftsjournalistin und Gründerin von Pflanzlich Gesund - Evidenzbasiertes Ernährungswissen.