Zucker – das vielleicht gefürchtetste Lebensmittel auf Social Media. Immer öfter wird behauptet, Zucker mache süchtig und würde ähnlich wie Drogen wirken. Schauen wir uns mal an, was die Wissenschaft dazu sagt:
Was ist eine Sucht eigentlich?
Bei einer Sucht handelt es sich um ein überwältigendes Verlangen, sich wiederholt einer Aktivität zu widmen, die eine vorübergehende Linderung auf Kosten unangenehmer Folgen mit sich bringt. Um als ein Suchtmittel deklariert zu werden, müssen gemäß der ICD-10 Systematik diese Kriterien vorliegen: Es muss einen starken Zwang geben, eine verminderte Kontrollfähigkeit, körperliche Entzugssymptome, ein Wirkverlust mit anschließender Dosissteigerung, eine Vernachlässigung anderer Interessen und der fortgesetzte Konsum, trotz Folgeschäden. Der Konsum von Zucker erfüllt diese Sucht-Kriterien schonmal nicht.
Betrachten wir nun die Neurochemie um zu verstehen, woher der Drogenvergleich stammt: Das Konsumieren von süßen Speisen führt zur Ausschüttung von Dopamin. Und das passiert auch nach dem Konsum von Drogen. Eine messbare Dopaminausschüttung erfolgt jedoch generell nach einer Belohnung oder einer angenehmen Tätigkeit. Also auch beim Hören von guter Musik oder nach einem Lob vom Arbeitgeber. Die Dopaminausschüttung im Zusammenhang mit Essen, nimmt jedoch messbar ab, je öfter die Lebensmittel konsumiert wurden. Das ist nicht vergleichbar mit dem Konsum von Drogen.
Was sagt die Studienlage?
In einigen Studien mit Nagetieren konnten suchtähnliche Reaktionen im Zusammenhang mit Zucker entdeckt werden.
Eine Untersuchung mit Nagetieren zeigte, dass diese nicht weiter nach Zucker suchten, wenn sie beispielsweise dadurch einen Stromschlag erhielten. Bei echten Suchtmitteln, würde das Tier trotzdem weitersuchen. Außerdem konnte gezeigt werden, dass sich die Toleranz für Zucker nicht veränderte. Bei einem Suchtmittel wird die Toleranz immer höher, sodass man mehr Suchtmittel konsumieren muss. Es zeigte sich außerdem, dass die Nagetiere nur dann „suchtähnliches“ Verhalten zeigte, wenn sie zweitweise keinen Zugang zu Zucker mehr bekamen. Waren sie dem Zucker uneingeschränkt ausgesetzt, zeigte sich das Verhalten nicht.
Jedoch wurden bis jetzt keine überzeugenden Verhaltensindikatoren bei Menschen gefunden, die dieselben Mechanismen zeigen.
Es gibt also keine Evidenz dafür, dass Zucker uns süchtig macht.
Wie kommen Menschen trotzdem zu der Annahme, dass Zucker süchtig macht? Durch die Einstellung, dass zuckerhaltige Lebensmittel sehr begehrenswert, aber eigentlich verboten sind, entsteht eine Ambivalenz gegenüber diesen Lebensmitteln. Der Versuche, den Konsum einzuschränken, führt in vielen Fällen dazu, dass der Wunsch danach noch stärker wird. Wir neigen dazu, Dinge zu wollen, die wir nicht haben können.
Woher kommt dieser Kontrollverlust, den manche Menschen beim Essen von zuckerhaltigen Lebensmitteln verspüren?
Es gibt Hinweise darauf, dass es die Kombination aus einem starkem Verarbeitungsgrad, der Menge an zugesetztem Fett und der Menge an zugesetztem Zucker ist, die oftmals zu einem Kontrollverlust führt. Der Zucker allein ist nicht das Problem.
Erkenntnisse aus der Tierstudien legen nahe, dass suchtähnliche Verhaltensweisen von Nagetieren nur im Zusammenhang mit dem zeitweisen Entzug von Zucker auftraten.
Zuckersucht gibt es also nicht.
Und Zucker ist auch nicht „böse“. Zucker ist Zucker. Ein Lebensmittel. Angst vor Zucker zu schüren, und ihn mit Drogen gleichzusetzen ist irreführend. Das führt teilweise so weit, dass Menschen Obst meiden, weil es nunmal auch Zucker enthält. Und sich damit den Zugang nährstoff- und ballststoffreiche Lebensmittel versperren.
Warum hält sich diese Theorie von Zuckersucht denn öffentlich so stark?
Zum einen, weil es plausibel klingt. Jeder hat sicherlich schon die Erfahrung gemacht, ein starkes Verlangen nach etwas Süßem zu spüren oder dieses eventuell sogar unkontrolliert konsumiert. Auch einige Nagetierstudien zeigen Ergebnisse, die immer wieder in den Medien überinterpretiert oder falsch dargestellt werden.
Um das starke Verlangen nach zuckerhaltigen Lebensmitteln nicht weiter zu fördern, kann es helfen, sich keine Einschränkungen mehr zu geben. Auch wenn es sich vielleicht nicht plausibel anhört: Weniger Einschränkungen könnten helfen, wieder mehr Kontrolle zu bekommen. Genieß dein Eis. Genieß deine Torte.
Nichtsdestotrotz wissen wir mit einer guten Sicherheit, dass zu viel zugesetzter Zucker zu einem gesundheitlichen Problem werden kann. Laut DGE wird deswegen empfohlen, dass die Zufuhr von zugesetztem Zucker maximal 10 % der Gesamtenergiezufuhr betragen sollte. Es macht also definitiv Sinn, sich seinem Zuckerkonsum bewusst zu werden und ihn herunterzuschrauben. Lebensmittel, die raffinierten Zucker enthalten, können Teil einer gesunden Ernährung sein. Der Versuch, Zucker aus den falschen Gründen zu vermeiden, kann zu Angst vor dem Essen, zu einer schlechten Beziehung mit dem Essen, zu Heißhungerattacken oder schlimmstenfalls zu Essstörungen führen.
Quellen:
https://www.ugb.de/ernaehrungsberatung/zuckersucht/?zucker-sucht
https://www.forum-ernaehrung.at/events/feh-dialog-wie-suess-ist-die-zukunft/
https://www.medikamente-und-sucht.de/behandler-und-berater/medikamentensicherheit/missbrauch-und-abhaengigkeit/abhaengigkeit-diagnosekriterien.htm
https://www.dge-sh.de/zuckergehalt.html
Westwater ML, Fletcher PC, Ziauddeen H. Sugar addiction: the state of the science. Eur J Nutr. 2016 Nov;55(Suppl 2):55-69. PMID: 27372453;
Avena NM, Rada P, Hoebel BG. Evidence for sugar addiction: behavioral and neurochemical effects of intermittent, excessive sugar intake. Neurosci Biobehav Rev. 2008;32(1):20-39. PMID: 17617461
Schulte EM, Smeal JK, Gearhardt AN. Foods are differentially associated with subjective effect report questions of abuse liability. PLoS One. 2017 Aug 31;12(8):e0184220. PMID: 2885916
Rogers PJ, Smit HJ. Food craving and food „addiction“: a critical review of the evidence from a biopsychosocial perspective. Pharmacol Biochem Behav. 2000 May;66(1):3-14. PMID: 10837838
Gearhardt AN, Corbin WR, Brownell KD. Preliminary validation of the Yale Food Addiction Scale. Appetite. 2009 Apr;52(2):430-6. PMID: 19121351.
Nina Schneider
Ernährungswissenschaftlerin (B.Sc.), Scienefluencerin, freie Wissenschaftsjournalistin und Gründerin von Pflanzlich Gesund - Evidenzbasiertes Ernährungswissen.