Momentan sind die Schlagzeilen um die neue EU-Zulassung groß und die VerbraucherInnen scheinbar verwirrt.
Mein Umfeld schwankt zwischen puren Entsetzen, Ekel vor zukünftigen versteckten Käfern im Essen und Häme darüber, dass bald vegane Produkte dank Insektenpulver nicht mehr vegan seien.
Nebenbei schütteln Agrarlobbyisten fassungslos die Köpfe darüber, dass man das gute Fleisch nun durch Insektenprotein ersetzen wolle.
Was ist da eigentlich gerade los?
Die EU-Kommission hat per Durchführungsverordnungen erlaubt, dass ab heute teilweise entfettetes Grillen-Pulver und ab kommenden Donnerstag Larven des Getreideschimmelkäfers in Lebensmitteln verarbeitet werden dürfen.
Die Insekten dürfen nun Backwaren, Snacks, Pizza und auch Fleischersatzprodukten zu kleinen Prozentanteilen untergemischt werden.
Wanderheuschrecken und Mehlkäferlarven sind übrigens schon seit 1,5 Jahren erlaubt. Und mehr Insektenarten sollen folgen.

Haben wir jetzt heimlich Insekten im Essen?
Nein. Natürlich müssen Insekten klar erkenntlich als Zutat in der Zutatenliste des Lebensmittels deklariert werden.
Insekten fallen übrigens in die Kategorie der sogenannten Novel Foods. Dazu zählen auch andere neuartige Lebensmittel wie Chiasamen und Mikroalgen. Für diese gelten besondere Regeln. Sie müssen von der EFSA als sicher eingestuft werden, bevor sie verkauft werden dürfen.
Aber höchstwahrscheinlich muss die Zutatenliste nicht erst akribisch geprüft werden:
Noch ist Insektenprotein ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Hersteller werden also ganz offensichtlich damit werben um KundInnen darauf aufmerksam zu machen.
Wenn es nach der Verbraucherzentrale geht, muss auf der Lebensmittelverpackung ein Bild der Insekten abgedruckt werden. Sonst handelt es sich im Sinne der Lebensmittel-informationsverordnung um Irreführung der VebraucherInnen. Um versehentlichen Insektenverzehr muss sich also keine Sorgen gemacht werden.
Sind die Regale bald voll mit Insektenprodukten?
Die Lebensmittelindustrie orientiert sich an der Nachfrage der KundInnen. Die ist aber nicht unbedingt hoch. VebraucherInnen sind aktuell sehr zurückhaltend was Insekten angeht. Laut einer repräsentativen Umfrage des BfRs können sich nur 10% der Menschen vorstellen, Insekten regelmäßig zu essen. Die Hauptgründe sind Ekel, Hygiene und Fremdheit gegenüber Tieren. 30% der Befragten würden Insekten als Mutprobe mal probieren.
Insgesamt zeigt die Studienlage, dass Insekten vorerst keinen festen Platz in der deutschen Ernährung finden werden. Stattdessen könnte der Markt für Futtermittel von Nutztieren interessant werden.
Davon mal abgesehen:
Es ist unrealistisch davon auszugehen, dass Lebensmittelhersteller ihre Produktionen komplett auf den Kopf stellen, nur um mit einer unbekannten, teuren Zutat zu arbeiten, für die es bisher nur einen kleinen Markt gibt.
Rezepturen müssten verändert und geschmacklich abgestimmt werden. Gerade weil Insektenpulver möglicherweise eine sensorische Herausforderung darstellen könnte. Das alles, nur um am Ende die KundInnen abzuschrecken, die gar keine Lust auf Insekten haben. Das ist aktuell maximal unwirtschaftlich.
Vegane Ersatzprodukte jetzt mit Insektenprotein?
Mehr als unwahrscheinlich. Immer mehr vegane Produkte tragen das international anerkannte und geschützte V-Label. Das kennzeichnet, dass ein Produkt keine tierischen Bestandteile enthält und auch nicht mithilfe von lebenden Tieren und tierischen Erzeugnissen hergestellt wurde.
Ein insektenhaltiges Produkt bekommt also kein V-Label. Zudem wird ein Allergenhinweis diskutiert, da vor allem Schalen- und KrustentierallergikerInnen sensibel reagieren könnten.
Warum Insekten?
Insekten als alternative Proteinquelle zu Fleisch sind schon lange in Diskussion und in anderen Ländern Afrikas und Asiens schon längst Standard. Insekten zeigen eine günstige Nährstoffzusammensetzung und sind sehr proteinreich. Außerdem sehen WissenschaftlerInnen in Insekten eine Möglichkeit gegen die Intensivtierhaltung von Säugetieren und Vögeln vorzugehen und die damit einhergehenden Treibhausgas-emissionen zu senken.
Wie ethisch vertretbar riesige Insektenzuchtfarmen sind, ist aber eine andere Frage…
Quellen:
https://www.bfr.bund.de/cm/350/insekten-als-lebens-und-futtermittel.pdf
https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/sind-essbare-insekten-als-lebensmittel-aus-sicht-der-verbraucher-sicher.pdf
https://www.vzhh.de/themen/lebensmittel-ernaehrung/ernaehrungstrends/insekten-essen
https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/04_AntragstellerUnternehmen/05_NovelFood/lm_novelFood_node.html;jsessionid=0ACE284AB0B9E03E97E2D68526ECF152.2_cid363#doc11035096bodyText1
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0005
Nina Schneider
Ernährungswissenschaftlerin (B.Sc.), Scienefluencerin, freie Wissenschaftsjournalistin und Gründerin von Pflanzlich Gesund - Evidenzbasiertes Ernährungswissen.