Reifes Obst, Tomaten, lang fermentierte Lebensmittel, wie Rotwein, Sauerkraut und manche Käsesorten sind nur einige der Lebensmittel, die Menschen mit diagnostizierter Histaminintoleranz nicht mehr essen dürfen. Wer kein Histamin verträgt, leidet nach dem Konsum der genannten Lebensmittel unter Magen-Darm-Beschwerden, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Hautausschlägen. Die Liste der Symptome ist sogar noch länger. Sagt jedenfalls das Internet.
Dir kommt das alles bekannt vor? Tatsächlich sind einige dieser Symptome eher schwer zuordenbar und diffus. Mitunter sind diese unklaren Symptome auch der Grund dafür, dass eine Histaminintoleranz zu schnell diagnostiziert wird. Zusätzlich wird dann noch ein Bluttest zur Bestätigung gemacht und dann bekommt der oder die Patient:in eine lange Liste mit Lebensmitteln zugesteckt, die er oder sie zukünftig nicht mehr essen darf. Warum das problematisch, und die Histaminintoleranz eigentlich schwer diagnostizierbar ist, erkläre ich in diesem Post.
Was ist denn eigentlich Histamin?
Histamin gehört zu den biogenen Aminen, die eigentlich in fast allen Lebensmitteln vorkommen. Außerdem ist Histamin auch ein Hormon, das wir natürlicherweise in unserem Körper produzieren und ausschütten.
Histamin wird bei allergischen Reaktionen und im Rahmen der Abwehrreaktion unseres Immunsystems ausgeschüttet und kann zu typischen Symptomen wie Hautrötungen, Übelkeit, Erbrechen, Herzrasen, Kopfschmerzen, uvm. führen.
Mit dem Histamin aus der Nahrung können gesunde Menschen normalerweise sehr gut klarkommen. Denn unter anderem baut es unser körpereigenes Enzym Diaminoxidase (DAO) im Dünndarm ab.
Was ist Histaminintoleranz?
Histaminintoleranz wurde noch nicht so gut erforscht, wie es manche Bücher und Internetseiten gerne suggerieren. Während im Internet und bei alternativen Heilern schon völlig klar ist, dass ein Mangel an DAO oder eine verminderte Aktivität des Enzyms die Ursache für die Symptome nach der Aufnahme von Histamin ist, kann die Wissenschaft das noch nicht bestätigen.
In einer kleinen österreichischen placebokontrollierten Studie konnte die Gabe von flüssigem Histamin bei einigen Patienten mit vermuteter Histaminintoleranz gar keine histaminassoziierten Symptome auslösen. Außerdem waren die Symptome der Probanden sehr wechselhaft, mal stärker und mal schwächer ausgeprägt. Einige Probanden bekamen Symptome, obwohl sie das Placebo ohne Histamin bekamen.
Diese Daten könnten ein Hinweis darauf sein, dass Erwartungshaltung und andere mögliche Begleitumstände auch eine große Rolle bei der Erkrankung spielen.
Allerdings hat die Studie nicht genügend Aussagekraft um daraus sichere Daten abzuleiten.
Trotz fehlender Beweise und Zusammenhänge liegt der Fokus bei vielen unseriösen Anbietern auf dem Verkauf von Kapseln mit der histaminabbauenden Diaminoxidase. Wenn im Körper ein Enzym fehlt, dann muss eine entsprechende enzymhaltige Kapsel doch helfen, oder?
Tatsächlich gibt es für die Wirkung von oral eingenommener DAO keine Evidenz.
In der oben genannten Studie wurde die Wirkung von DAO-Kapseln im Vergleich zu einem Placebo untersucht. Es zeigte sich statistisch nur ein geringer Unterschied zwischen der Einnahme des Placebos und der DAO-Kapsel. Bei einigen Probanden waren die Symptome nach Einnahme der DAO-Kapsel geringer ausgeprägt. Allerdings schien bei einigen Probanden auch das Placebo gewirkt zu haben, denn sie stellten weniger Symptome fest, trotz Histamingabe. Ein genaues Muster war nicht erkennbar.
Wie kann eine Histaminintoleranz diagnostiziert werden?
Es gibt bisher keinen seriösen Bluttest oder andere medizinische Testverfahren, die eine Histaminintoleranz eindeutig nachweisen können.
Vorgeschlagen wurde die Bestimmung der DAO-Aktivität im Blutserum, oder des Plasmahistaminspiegels. Doch aus den Blutmessungen konnten keine konsistenten Ergebnisse erkannt werden.
Deswegen wird ein Bluttest als Diagnosemöglichkeit u.a. von der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie und dem Ärzteverband Deutscher Allergologen nicht empfohlen.
Was sind seriöse diagnostische Methoden?
Das Aufsuchen eines Allergologen ist eine mögliche Lösung. Hier können zuerst andere verwandte Erkrankungen ausgeschlossen werden und beispielsweise Medikamente des oder der Erkrankten auf eine mögliche DAO-hemmende Wirkung untersucht werden.
Als relativ sichere Methode zur Feststellung einer Histaminintoleranz gilt eine Eliminationsdiät. Dabei handelt es sich um eine, durch eine Ernährungsfachkraft überwachte Ernährungsumstellung. Dafür wird für einen festgelegten Zeitraum (4 bis 8 Wochen) eine histaminarme Diät angestrebt. Gleichzeitig werden die Symptome beobachtet und dokumentiert. Durch einen anschließenden Provokationtest mit histaminhaltigen Lebensmitteln lässt sich nun überprüfen, ob eine Histaminintoleranz vorliegt. Die Ernährungsfachkraft kann im Rahmen einer Ernährungstherapie einen individuellen Ernährungsplan mit allen verträglichen Lebensmitteln erarbeiten.
In der Regel übernehmen Krankenkassen große Teile der Kosten für die Ernährungstherapie.
Zusätzlich zur Ernährungstherapie könnte auch eine Antihistaminikum-Behandlung in Frage kommen.
Wir sehen: Durch die langwierige Diagnose und die unspezifischen Symptome ist es schwer, eine Histaminintoleranz zu erkennen. Die Erkrankung an sich erfordert noch weiteren Forschungsbedarf. Eine Blutuntersuchung ist kein seriöses Testverfahren. Deswegen sollten sich Betroffene niemals mit einer vorschnellen Diagnose „Histaminintoleranz“ und einer Lebensmittel-Liste abspeisen lassen.
Quellen:
Leitlinie der DGAKI, GPA und der ÄDA (2012): Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. https://dgaki.de/wp-content/uploads/2010/05/Leitlinie_Histaminunverträglichkeit2012.pdf
Komericki P. et al. (2011): Histamine intolerance: lack of reproducibility of single symptoms by oral provocation with histamine: a randomised, double-blind, placebo-controlled cross-over study. Wien Klin Wochenschr. 2011 Jan;123(1-2):15-20. Epub 2010 Dec 20. PMID: 21165702
Reese I. et al. (2017): German guideline for the management of adverse reactions to ingested histamine: Guideline of the German Society for Allergology and Clinical Immunology (DGAKI), the German Society for Pediatric Allergology and Environmental Medicine (GPA), the German Association of Allergologists (AeDA), and the Swiss Society for Allergology and Immunology (SGAI). Allergo J Int. 2017;26(2):72-79. Epub 2017 Feb 27. PMID: 28344921
Comas-Basté O et al. (2020): Histamine Intolerance: The Current State of the Art. Biomolecules. 2020 Aug 14;10(8):1181. PMID: 32824107v
Kofler, H. et al. (2009): Diamine oxidase (DAO) serum activity: Not a useful marker for diagnosis of histamine intolerance. Allergologie. 32:105–109. doi: 10.5414/ALP32105
www.medizin-transparent.at/diaminoxidase-histaminintoleranz/
https://www.daab.de/ernaehrung/nahrungsmittel-unvertraeglichkeit/histamin-unvertraeglichkeit/
https://www.mri.tum.de/sites/default/files/seiten/histaminintoleranz_essen_und_trinken.pdf
Nina Schneider
Ernährungswissenschaftlerin (B.Sc.), Scienefluencerin, freie Wissenschaftsjournalistin und Gründerin von Pflanzlich Gesund - Evidenzbasiertes Ernährungswissen.